Don’t meet the Kogi!
Obwohl unsere globalisierte Welt immer mehr zum Dorf wird, gibt es sie noch: Jene Stämme und Völker, die es bis heute geschafft haben, sich dem Fortschritt völlig zu entziehen, um uralte Traditionen und natürliche Lebensmodelle aufrecht zu erhalten. Oliver Driver hatte die Ehre, von einem derart ursprünglich lebenden Indianerstamm eingeladen zu werden.
Welch ein Erlebnis! Ich bin soeben zurückgekehrt aus einer anderen Dimension, die sich unseren üblichen Bewertungsmaßstäben völlig entzieht: Im Nordosten Kolumbiens durfte ich das Volk der Kogi besuchen.
Diese kleinen Indianer leben wie vor Hunderten von Jahren in der Sierra Nevada – dem höchsten Küstengebirge der Erde, wo auf einem 50 Kilometer breiten Streifen traumhafte karibische Strände und tropisch-feuchter Dschungel auf trockene Wüsten, Nebelwald und schneebedeckte Berge treffen. Aufgrund der politischen Situation in Kolumbien wagte bis vor wenigen Jahren kaum jemand, die Sierra zu bereisen. So gelang es den Kogi, zwischen Drogen, Terror und Militär, ihren Lebensraum zu erhalten. Bis heute schotten sie sich radikal nach außen ab.
Die Kogi sind gewissenhafte Hüter einer Tradition und Art des Denkens, welche in nahezu allen anderen Gegenden der Erde gründlich ausgerottet wurde: Sie betrachten ihren Lebensraum noch als Mittelpunkt der Welt und nennen sich selbst die „Älteren Brüder“. Alle anderen Menschen dieser Erde sind die „Kleinen Brüder“, welche das Land der Kogi vor sehr langer Zeit über das große Wasser verlassen haben.
Als die Kleinen Brüder in Gestalt der spanischen Invasoren zurückkehrten, brachten sie den Tod durch Gewalt – aber auch durch ihren Atem und ihre Körper, denn unsichtbare Krankheitserreger und Infektionen rafften damals neun von zehn Ureinwohnern dahin. Selbst jene Kleinen Brüder mit guten und hehren Zielen waren und sind (wenn auch ungewollt) Überbringer der Zerstörung.
Eindringlinge und Zerstörer sind wir für die Kogi noch heute. Denn noch immer können wir „Zivilisierten“ Infektionen übertragen. Aber mehr als das sind wir auch Träger unserer Kultur, unserer Art zu Denken, unserer Art, die Welt zu verstehen. Mit jedem Kontakt, mit jedem Gespräch und jeder Begegnung verändern wir das Bewusstsein anderer Menschen. Wie gut auch immer die dahinter stehende Absicht ist – in der Regel lehren wir mehr als dass wir lernen. Und genau deswegen wollen die Kogi keinen Besuch und keine Touristen.
Je länger ich bei den Kogi weilte, desto mehr verstand ich diese Art des Denkens. Je mehr ich mit ihnen sprach, desto mehr empfand ich mich selbst als Teil des Problems. Mir wurde bewusst, dass jede Handlung und jeder Satz von mir eine Intervention in ihr Leben ist. Dass jedes Foto von meiner Familie und meiner Heimat ein Samen für kaum kontrollierbare Entwicklungen sein kann und ihr natürliches Sein „verschmutzt“, denn…
Die Kogi denken in Ebenen kultureller Verschmutzung. Je weiter sie in der Sierra hinabsteigen, je näher sie an unsere Zivilisation heran kommen, desto größer wird diese „Verschmutzung“. In den Höhen der Sierra Nevada gibt es sogar große Gebiete, welche die Kogi selbst nicht mehr betreten, weil sie durch den Kontakt zu anderen Kulturen bereits zu stark infiziert sind. Folgerichtig durfte auch ich nur in das erste Drittel ihres Territoriums reisen.
Im Schöpfungsmythos der Kogis wurde die Welt erschaffen, indem die Große Mutter eine Webspindel ins Gebirge der Sierra Nevada stieß. Alles Leben dieser Erde entstand also in der Sierra Nevada – weshalb sich die Kogi noch heute als Hüter der Erde sehen. Ihre weisen Priester und Schamanen heißen Mámus und widmen sich allein der Aufgabe, für Yulúka, also das Gleichgewicht auf allen geistigen und materiellen Ebenen, zu sorgen. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, muss ihre Kultur überleben. Nur dann können sie die Erde retten.
Die Mámus waren es auch, die mich darum baten, eine Botschaft an alle Kleinen Brüder weiter zu geben. Sie lautet:
„Wir sind da, um dieses Gebirge zu beschützen, denn so beschützen wir die Erde und die Welt. Alle Gebirge liegen im Sterben, denn der Kleine Bruder zerstört sie, indem er Kohle und Öl daraus hervorholt und die Erde überwärmt. Wir sind dafür nicht verantwortlich, aber wir leiden darunter. Wir sind die Großen Brüder, es liegt in unserer Verantwortung, über die Erde und die Welt zu wachen. Wir müssen das Gleichgewicht bewahren, und wir führen dafür die ganze spirituelle und geistige Arbeit aus. Wir sind traurig, zu sehen, dass nicht alle Menschengruppen das tun, was sie tun sollten, um die Erde zu achten. Wir brauchen den Kleinen Bruder, damit er uns hilft. Ihr müsst die Erde und die Welt verstehen lernen. Der Kleine Bruder muss uns helfen, unsere Erde wieder zurückzuerhalten. Helft uns, das Herz der Welt zu schützen!“
Die Kogi wünschen sich nur eines: Dass ihre Botschaft von uns gehört und zu Herzen genommen wird. Ansonsten soll man sie bitteschön in Ruhe lassen. Sie wollen keinerlei Hilfe, keine Decken, kein Essen, keine Beratung, keine Schulen. Sie möchten einfach so weiterleben, wie sie es seit Jahrhunderten tun – auf ihrem angestammten Land mit ihren Jahrtausende alten heiligen Stätten.
Dennoch bekommen die Kogi manchmal Besuch: Im Jahr 1990 drehte der Regisseur Alan Ereira einen Film über die Kogi. Bei dessen Gestaltung übernahm das Indianervolk kurzerhand die Führung und nutzte intuitiv die Gelegenheit, seine Botschaft in die Welt hinauszutragen und an uns zu appellieren, verantwortungsvoll mit Mutter Erde umzugehen. Die Schlussszene des Films zeigt, wie die Kogi hinter dem Regisseur das Tor einer Brücke schließen – mit dem Satz „Und jetzt wollen wir Dich nie wieder sehen!“ Sie wissen sehr gut, dass diese Abgrenzung die einzige Möglichkeit ist, zu überleben.
Alan Ereira hielt sich daran – aber zwanzig Jahre später kontaktierten ihn die Kogi erneut, weil sie erkannt haben, dass ihre Botschaft nicht erhört worden war. Sie hatten beschlossen, den Kontakt zu uns Kleinen Brüdern wieder aufzunehmen, weil sie die Rettung der Erde alleine nicht schaffen und drehten einen zweiten Film. Seither reisen auch einige ihrer spirituellen Oberhäupter hin und wieder zu EU-Behörden, Kongressen und spirituellen Treffen. Diese Aktivitäten finanzieren sie durch den Anbau und Verkauf von Kaffee durch die Gemeinschaft der Kogi. So führte eine Kette von Zufällen dazu, dass ich von den Kogi eingeladen wurde…
Sie waren nach Deutschland geflogen, um hier Unterstützer zu finden. Als ich ihnen bei einer solchen Veranstaltung Unterstützung bei der Kaffee-Vermarktung anbot, sagten sie: „Alles schön und gut – aber Du musst erst zu uns kommen und sehen, wie wir leben. Du musst verstehen lernen. Und dann werden die Mámus entscheiden, ob Du der Richtige bist – denn wir suchen jemanden, der spirituell ist, der uns versteht.“
Gesagt, getan. Ich hatte Zeit, ich hatte Lust – und drei Monate später landete ich in Nordkolumbien und wanderte mit einer gewissen Prüfungsangst im Bauch zwölf Stunden lang in die Berge zu den Kogi. Sie schickten mich jeden Tag auf eine andere Wanderung durch ihr paradiesisches Land. Bergauf und bergab, kreuz und quer zu laufen, bedeutet für die Kogi, das Leben zu erlaufen: wie beim Weben verknüpft man dabei einzelne Weg-Fäden nach und nach zu einem „Lebensstoff“.
Offensichtlich machte ich meine Sache gut, denn letztendlich entschied die Versammlung der Mámus, dass es passt. Gemeinsam beschlossen wir dann, die Organisation „kalashe“ zu gründen (was in der Kogi-Sprache „Vater/Ahne des Waldes“ bedeutet). Ab jetzt wird „kalashe“ die Interessen der Kogi im deutschsprachigen Raum vertreten und die Botschaft der Kogi auch hier verbreiten.
Der Kaffee ist ein Symbol für die Zusammenarbeit der Älteren Brüder mit uns und soll ein Bindeglied zwischen den Völkern werden. Er steht für Gemeinschaft und Balance und erinnert uns daran, dass wir alle für das Gleichgewicht der Erde verantwortlich sind. Ein Kaffee, der verbindet. Zudem ist er untrennbar mit der spirituellen Botschaft der Kogi verbunden: jedes Paket der gerösteten Bohnen erinnert daran, dass es 1600 Familien in der Sierra gibt, die sich um die Erde sorgen.
Ein Teil der Erlöse wird dafür verwendet, die heiligen Stätten der Kogi zurück zu kaufen. Ohne diese heiligen Stätten können die Mámus ihre spirituelle Arbeit nicht vollziehen, was in ihren Augen das Überleben der gesamten Kultur gefährdet. Nur wenn die Mámus das komplexe Weltbild der Kogi weiterhin mit Leben füllen können, haben sie die Möglichkeit, ihr Volk auf die heutigen Herausforderungen vorzubereiten, insbesondere aber zu beschützen. Für sie ist es eine Gratwanderung, die Abgrenzung zu den Kleinen Brüdern gerade durch den Kontakt zu ihnen zu ermöglichen.
Bin ich jetzt ihr Freund? Ich glaube nicht. Ich bin immer noch ein Kleiner Bruder, der vielleicht einmal erwachsen wird. Doch es besteht Hoffnung, denn die Kogi haben entdeckt, dass es Kleine Brüder gibt, die sich auch um die Erde sorgen.
Vielleicht geht‘s euch jetzt genauso wie mir vor einigen Jahren. Vielleicht denkt ihr jetzt „Toll, da will ich auch einmal hin!“… Aber die Kogi wollen nach wie vor keinen Tourismus. Sie wollen kein lebendes Museum sein und auch nicht als „aussterbende Kultur“ behandelt werden. Völker wie die Kogi zeigen uns einfach, dass es auch andere Wege des Denkens und Lebens gibt. Und dies ist ein Schatz. All die verschiedenen Kulturen auf dieser Erde sind Schätze, die es zu bewahren gilt. Und besonders die kleinen, selteneren, verborgenen Schätze wollen gar nicht gehoben werden, weil das ihr Ende bedeuten könnte.
Aber sie möchten gehört werden. So wie die Kogi. Sie wollen, dass wir ihre Botschaften hören und auch ihre Sorgen teilen – und zwar nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse aller. Sie wollen, dass wir aus eigenem Antrieb heraus unsere Erde retten. Denn sonst müssen die Kogi in der Sierra Nevada wieder beginnen, mit Hilfe der Großen Mutter eine neue Erde zu erschaffen. Das ist ihre Aufgabe.
Meet the Kogi? Bitte, versucht es nicht!
Das Projekt
Den Kaffee gibt es exklusiv auf startnext.de/cafe-kogi im Crowdfunding. 4 x 1000 g CAFÉ KOGI mit einem gesegneten Schutzbändchen der Kogi gibt es dort beispielsweise für 125 Euro.
(Text + Fotos: Oliver Driver, November 2014)
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